Otfried
Wagenbreth , Freiberg
125 Jahre Rothschönberger Stolln
Anläßlich
der 125 jährigen Wiederkehr der Vollendung des Rothschönberger Stollns 1877
sollen hier
-
der Rothschönberger Stolln in die Geschichte der Stolln im Freiberger Revier
eingeordnet,
-
Vorgeschichte und Baugeschichte des Rothschönberger Stollns charakterisiert,
-
technische Besonderheiten und technische Neuerungen beim Stollnbau genannt und
-
der Rothschönberger Stolln vergleichend gewertet werden.
Eine Kurzcharakteristik der übertage
erhaltenen Sachzeugen des Stollns regt zu bergbaugeschichtlichen Exkursionen
an.
1.)
Der Rothschönberger Stolln in der Geschichte der Freiberger Stolln.
Der
Rothschönberger Stolln ist der jüngste, tiefste und längste Stolln im
Freiberger Revier (Tabelle 1), was aus dem technischen Zweck aller Stolln
verständlich wird.
Jeder Stolln sollte 1.) dem in den höher
gelegenen Grubenbauen zufließenden Grundwasser einen selbsttätigen Abfluß
gewähren, 2.) die Hubhöhe des aus tieferen Grubenbauen bis auf den Stolln zu
hebenden Grundwassers vermindern und 3.) die Möglichkeit schaffen, in die
Fallhöhen zwischen dem Gelände und dem Stolln Wasserkraftmaschinen zum Antrieb
der Förderanlagen und Pumpen einzubauen. Daraus resultierte das Bestreben,
immer tiefere Stolln anzulegen (Bild 1), indem tiefere Stolln zusätzliche
Grubenbaue selbsttätig entwässern, die Hubhöhe für hochzupumpendes Wasser
weiter vermindern und die für Wasserkraftmaschinen verfügbare Fallhöhe
vergrößern und damit einen Energiezuwachs bedeuten. Tiefere Stolln sind jedoch
stets auch länger und damit teurer als höher gelegene. Die Anlage eines
tieferen Stollns ist deshalb eine Optimierungsaufgabe, indem die günstigste
Variante zwischen den drei genannten Vorteilen
eines tieferen Stollns und dem Nachteil von dessen Länge und damit größeren
Kosten gefunden werden muß.
2.)
Vorgeschichte und Baugeschichte des Rothschönberger Stollns.
Um
1820/1830 hatten die Freiberger Gruben eine solche Tiefe erreicht, dass die in
der Fallhöhe zwischen den Kunstgräben und den bis dahin tiefsten Stolln
verfügbare _Energie nahezu erschöpft war.
Zusätzliche Energie für weiteren
Tiefenfortschritt des Bergbaus war nur durch folgende vier Möglichkeiten zu
erreichen:
1.)
Verbesserung des Wirkungsgrades der Wasserkraftmaschinen, wurde z.B. durch
Ersatz von mehreren untertage übereinander hängenden Wasserrädern durch die
einstufige Nutzung der Fallhöhe mittels Wassersäulenmaschine realisiert.
2.)
Einsatz von Dampfmaschinen, wurde von den Oberkunstmeistern C.F. Brendel 1829
und F.W. Schwamkrug 1851 berechnet, als zu teuer befunden und deshalb
verworfen.
3.)
Erhöhung der Wassermenge der Kunstgräben, wurde u.a. durch den Bau des
Dittmannsdorfer Teiches 1824/1826, Erweiterung des Dörnthaler Teiches
1842/1844 und die Einbeziehung des Wassers der Flöha und ihrer Nebenbäche
1826/1860 angestrebt bzw. erreicht.
4.)
Vortrieb eines tieferen Stollns.
Oberberghauptmann S.A.W.v. Herder
veröffentlichte 1838 das Projekt für einen "Tiefen Meißener
Erbstolln" (Tabelle 2, Bild 2), korrespondierte darüber mit seinem
Patenonkel Goethe und bat Alexander v. Humboldt, Absolventen der Bergakademie
Freiberg und früher preußischer Oberbergmeister, um ein Gutachten, das dieser
lieferte und in dem er Herders Vorschlag eines tieferen Stollns befürwortete.
Herder prüfte in seinem Projekt vier Varianten, nämlich:
1.)
einen Stolln vom Triebischtal bei Meißen,
2.)
einen Stolln von Zehren an der Elbe,
3.) einen Stolln von Scharfenberg, um dem
dortigen Bergbau mit zu helfen, entweder über
Rothschönberg, um den Bergbau von Munzig mit an den Stolln
anzuschließen
(3a) oder direkt nach Halsbrücke (3b),
4.) eine Verlängerung des 1817/1836
gebauten Dresdener Elbstollns, um auf diesem Wege zugleich Steinkohlen oder
Koks aus dem Freitaler Steinkohlenrevier in die Freiberger Hütten per Schiff
transportieren zu können. Herder gab der Variante 1 den Vorzug. Ohne einen
tieferen Stolln könne der Bergbau nur 500 m Tiefe erreichen, mit einem tieferen
Stolln aber 800 m. Herder berechnete, dass mit dem tieferen Stolln Erz im Wert
von 300 Millionen Thalern zusätzlich gewinnbar würde, die Kosten des Tiefen
Meißener Erbstollns in Höhe von 3,7 Millionen Thalern sich also durchaus
amortisieren könnten.
Nachdem
Herder 1838 gestorben war optimierte der zuvor als Bergmeister in Freiberg
tätig gewesene Regierungsrat K.G.A.v. Weißenbach das Stollnprojekt aufs Neue.
Er behielt die Variante 1 grundsätzlich bei, legte aber den Stolln etwa 90 m
höher (minderte also die drei Vorteile des Stollns um die entsprechenden Maße),
verminderte aber ebenfalls die Nachteile des Tiefen Meißener Erbstollns,
nämlich die große Länge, die lange Bauzeit und die hohen Kosten (vgl. Tabelle
2). Durch das höhere Niveau erhielt der Stolln nun sein Mundloch bei
Rothschönberg.
Der Bau des Stollns, nun "Rothschönberger Stolln" genannt,
begann 1844 mit dem Abteufen der Lichtlöcher, der Errichtung der Förder- und
Wasserhaltungsanlagen an den Lichtlöchern sowie der Bergschmieden, Mannschaftsräume
und Pulverhäuser sowie des Verwaltungsgebäudes am 4. Lichtloch. Nach dem
Abteufen der Lichtlöcher (Tabelle 3) begann der eigentliche Stollnvortrieb vom
Mundloch bei Rothschönberg und den Lichtlöchern aus jeweils in den beiden
Richtungen nach Südwest und Nordost (Tabelle 4). Da sich bei Rothschönberg noch
eine Rösche und ab 1865 bei Halsbrücke ein weiteres Lichtloch erforderlich
machte, erfolgte der Vortrieb des Stollns schließlich von 19 Orten aus. Von
Rothschönberg bis Halsbrücke, d.h. auf 13,9 km, erfolgte der Bau des Stollns
auf Staatskosten. Bei diesem "fiskalischen Teil" des Stollns waren
etwa 200 bis 270 Mann tätig und 50 000 bis 80 000 Thaler pro Jahr erforderlich.
Der erste Durchschlag erfolgte im Sommer 1864 zwischen dem Hauptstollnort bei
Rothschönberg und dem 1. Lichtloch (Tabelle 4), der letzte Durchschlag am
21.3.1877 zwischen dem 8. Lichtloch und dem Schacht Oberes Neues Geschrei (Bild
3), also zwischen dem fiskalischen Teil und der Himmelfahrt Fundgrube. (Im
Bergrevier selbst hatten jeweils die Gruben den Stolln auf eigene Kosten durch
ihr Grubenfeld vorzutreiben). Nach weiterer Herrichtung des
Durchschlagspunktes floß am 12.4.1877
erstmals Wasser des Freiberger Reviers auf dem Stolln ab. am gleichen Tage
fand untertage am Durchschlagspunkt ungefähr unter der Halsbrücker Hütte eine
Feier unter Beteiligung des sächsischen Finanzministers, von Vertretern der
Bergbehörden und der Bergakademie sowie der kommunalen Behörden, statt.
Oberbergrat C.H. Müller, der den Bau des fiskalischen Stollns seit 1871
geleitet hatte, betonte in seiner Festrede, dass mit dem Stolln zusätzliche
Energie in Höhe von 1 100 PS (damals relativ viel) gewonnen und die Existenz
von 6 000 Berg- und Hüttenleuten gesichert worden sei. Der Rothschönberger
Stolln lasse mit seiner Gesamtlänge von 50,9 km "alle bisher ausgeführten
Stolln und Tunnel aller Länder der Erde weit hinter sich".
Noch 1877 wurden die Junge Hohe Birke, der Constantinschacht und der
Mendenschacht, 1879 Beschert Glück, 1881 bei Brand die Grube Einigkeit und
1882 Himmelsfürst, eine Grube am Südrand des Reviers an den Stolln
angeschlossen (vgl. Bild 3).
Bei Himmelsfürst brachte der Rothschönberger Stolln 250 m Tiefe unter
Gelände, also etwa 114 m Tiefe unter dem bis dahin tiefsten Stolln ein (vgl.
Tabelle 3).
3.) Technische Besonderheiten und
Neuerungen beim Stollnbau.
Für den Bau des Rothschönberger Stollns ist
weithin die damals konventionelle, auf Wasserkraft beruhende Montantechnik des
Freiberger Reviers angewandt worden. Zeugnisse dafür sind z.B. die Wasserräder
im 4. und 7. Lichtloch. Um beim 4. Lichtloch Wasserkraft verfügbar zu haben,
legte man 1844/46 die 3,6 km lange "Grabentour" an, eine aus übertägigen
und untertägigen Teilstücken bestehende Zuleitung von Bobritzschwasser zum 5.
und 4. Lichtloch.
Mehrere Besonderheiten und Neuerungen haben teils beschleunigend, meist
aber verzögern gewirkt, so dass die Bauzeit des Stollns statt der
veranschlagten 22 Jahre 33 Jahre
dauerte. Dem Zeitablauf folgend seien einige Probleme und Neuerungen genannt:
Bei Lichtlöchern, denen keine Wasserkraft
zugeleitet werden konnte, war schon im Projekt der Einsatz von Dampfmaschinen
als Antrieb der Fördermaschinen und Pumpen vorgesehen (vgl. Tabelle 3). Sie
gehören zu den ersten Dampfmaschinen des Freiberger Reviers.
Schon 1844, beim Beginn des
Stollnvortriebs, verlegte man das Stollnmundloch etwas talaufwärts, da die
Bauern von Rothschönberg die Beeinträchtigung ihrer Brunnen befürchteten und
gegen den Stollnbau Einspruch erhoben hatten. Da man aber das Stollnniveau
beibehalten wollte, mußte man von dem neuen Mundloch aus das Stollnwasser unter
der Triebisch hindurchführen und - um den Wasserabfluß in die Triebisch zu
ermöglichen - zusätzlich einen talabwärts gelegenen Höhenrücken durchtunneln,
ein frühes Beispiel für hydrologischen Umweltschutz.
Kunstmeister F.W. Schwamkrug entwickelte
1846/47, optimierend für den Betrieb von Kunstgezeugen und für die beim 5.
Lichtloch vorliegende Wassermenge und Fallhöhe als Antriebsmaschine seine
"Schwamkrug-Turbine", eine langsamlaufende, stehende Radialturbine
mit partieller innerer Beaufschlagung. Dieser Turbinentyp fand später
Verbreitung auch außerhalb des Bergbaus. Die 1867/68 beim 7. Lichtloch
eingebaute Schwamkrug-Turbine hatte 7,72 m Durchmesser.
Beim Vortrieb des Stolln zwischen dem
Hauptstollnmundloch und dem 1. Lichtloch, traf man 1851 nicht nur, wie
erwartet, standfestes Gestein, sondern auch eine 35 m breite Zone von Sand und
Schlamm an. Deren Durchörterung erforderte einen Zeitaufwand von 13 Jahren und
wurde schließlich durch den Einbau eines Sandsteingewölbes bewältigt.
Als man sich um 1860 bei Halsbrücke mit dem
Stolln dem mächtigen, seit um 1600 abgebauten, mehrere Meter mächtigen
Halsbrücker Spatgang näherte, fürchtete man Wassereinbrüche aus den alten
Abbauen in den Stolln. Um dieses Wasser kontrolliert abziehen zu können,
modifizierte man bei Halsbrücke den projektierten Stollnverlauf und teufte
zusätzlich zum Projekt ab 1865 das 8.
Lichtloch ab, von dem aus nun auch der Halsbrücker Spatgang angefahren werden
sollte.
Beim 6. Lichtloch hatten starke
Wasserzuflüsse nicht nur 1864 den Einsatz der stärksten, beim Stollnbau
verwendeten Dampfmaschine veranlaßt (vgl. Tabelle 3), sondern 1874 auch Anlaß
gegeben zur Verwendung von Beton zur Abriegelung des Stollns gegen diese
Zuflüsse, vielleicht als erstmaligen Einsatz von Beton untertage?
Nachdem bei Halsbrücke durch den
Stollnvortrieb mehrere Brunnen trocken gefallen waren und der Staat als
Betreiber des fiskalischen Stollns den Betroffenen Ersatz schaffen mußte,
stellte man 1876 im Stolln beim 8. Lichtloch eine von F.W. Schwamkrug konstruierte
Wassersäulenmaschine auf, die Trinkwasser aus dem Stolln in einen übertägigen
Hochbehälter hob. Diese Wassersäulenmaschine ist 1934 in den Maschinenraum des
Schachtes Alte Elisabeth museal umgesetzt worden und dort (als einzige in
Sachsen) zu besichtigen.
Ebenfalls 1876 wurden die voll Wasser
stehenden Abbauhohlräume des Halsbrücker Spatganges vom Stollnvortrieb beim 7.
Lichtloch aus durch Vorbohrungen angezapft und damit Wassereinbrüche vermieden.
Beim Vortrieb des letzten Stollnabschnittes
vom 8. Lichtloch in Richtung Oberes Neues Geschrei benutzte man ab 1876
Druckluftbohrmaschinen und als Sprengmittel erstmals Dynamit. Damit
beschleunigte man in der letzten Phase des Stollnbaus den Vortrieb und erreichte
am 21.3.1877 den Durchschlag zwischen dem fiskalischen Teil des Stolln und dem
Stolln im Revier.
Die wichtigste Neuerung beim Vortrieb des
Rothschönberger Stollns war die Einführung von Theodolit und Nivelliergerät in
das Markscheidewesens. Für den Bau des Rothschönberger Stollns mußten die
Geländesituation nach Längen und Höhen vermessen, die Standorte der
Lichtlöcher festgelegt, deren Tiefe berechnet und dann beim Abteufen gemessen
und schließlich in den Lichtlöchern Richtung und Neigung der Vortriebsorte
angegeben und beim Vortrieb vermessungstechnisch kontrolliert werden. Julius
Weisbach, Professor an der Bergakademie Freiberg, schlug vor, dafür nicht wie
bisher Kompaß und Gradbogen, sondern Theodolit und Nivelliergerät zu benutzen.
Das Oberbergamt aber ließ die Arbeiten doch auf konventionelle Art mit Kompaß
und Gradbogen ausführen, um das Gesamtprojekt nicht noch zusätzlich mit dem
Risiko einer neuen Vermessungsmethode zu belasten. Weisbach führte deshalb die
Messungen mit Theodolit und Nivelliergerät auf eigene Kosten und mit seinen
Studenten durch, wies die größere Genauigkeit seiner Messungen nach und veröffentlichte in zwei Bänden diese "Neue
Markscheidekunst". Seitdem fand diese allgemein Verbreitung im Bergbau.
Aber auch die alte Methode ergab beim
Rothschönberger Stolln eine Meisterleistung. Bei dem durchschnittlichen
Lichtlochabstand von etwa 1,6 km (vgl. Tabelle 4) ergaben sich bei den
Durchschlägen Abweichungen von maximal 7 m (= 0,4 %) seitlich und 0,55 m (=
0,03 %) in der Höhe.
4.)
Zur historischen Wertung des Rothschönberger Stolln.
Zwei
Aspekte sind für die historische Wertung des Rothschönberger Stollns wichtig:
Seine Bedeutung für das Freiberger Revier und ein Vergleich mit den Hauptstolln
anderer Reviere.
Die Bedeutung des Rothschönberger Stollns
für das Freiberger Revier wird oft negativ eingeschätzt, weil der Stolln dem
Bergbau bis zu dessen Einstellung 1913 nur 36 Jahre gedient habe und weil in
dieser Zeit doch leistungsfähige Dampfmaschinen verfügbar geworden sind, die
die Aufgabe des Stollns hätten übernehmen können. Eine solche Einschätzung
greift zu kurz. Dampfmaschinen hatten zwar nun relativ niedrige
Investitionskosten, aber der Brennstoffanfuhr wegen immer noch hohe
Betriebskosten, wogegen der Stolln nach Fertigstellung nur minimale
Betriebskosten verursachte. Darüber hinaus war der Stolln auch nach 1913 noch
von großem Nutzen: Von 1914 bis 1968 diente er dem Kavernenkraftwerk Dreibrüderschacht
als Abzugsstolln des verbrauchten Kraftwassers. Von 1935 bis 1969 führte er wiederum
vom Freiberger Bergbau die Grubenwässer ab, d.h. die Wässer aus den Grubenbauen
bis etwa 200 bis 250 m Tiefe flossen auch in dieser Bergbauperiode ohne Energieaufwand
ab, die Wässer aus den Bauen darunter brauchten auch in diesen Jahrzehnten etwa
100 m weniger hoch gehoben zu werden, was eine große Energieeinsparung
bedeutete. Schließlich ermöglicht der Stolln heute der TU Bergakademie
Freiberg den Betrieb ihrer Lehrgrube bis in etwa 230 m Tiefe.
Ein Vergleich des Rothschönberger Stollns
mit den Hauptstolln anderer Reviere (Tabelle 5) zeigt den Rothschönberger
Stolln noch immer in einer Spitzenposition des europäischen Bergbaus. Die
großen Stolln in den Revieren von Schemnitz (Banská Stiavnica / Slowakei),
Goslar und vom Oberharz bringen zwar mehr Tiefe ein. Das ist aber kein
Verdienst des Bergbaus sondern beruht auf dem natürlichen Vorteil größerer
Höhenunterschiede in diesen Revieren. Ein Maß für den bergmännischen
Arbeitsaufwand eines Stollnbaus ist dagegen die Länge des Stollns vom Mundloch
bis zur ersten Grube, und dieses Maß ist beim Rothschönberger Stolln mit
Abstand am größten.
5.)
Die übertage erhaltenen Sachzeugen des Rothschönberger Stollns.
Für
die Öffentlichkeit ist der Rothschönberger Stolln nicht befahrbar, doch bieten
zahlreiche übertägige Sachzeugen die Möglichkeit, ihn von übertage aus
gewissermaßen nachzuerleben. Diese Sachzeugen seien zum Schluß aufgezählt
(vgl. dazu Bild 3):
- Mundloch
der Triebisch-Rösche unterhalb von Rothschönberg (Bild 4): Noch heute Aus-
tritt
des Stollnwassers.
- Hauptstollnmundloch,
Triebischtal oberhalb von Rothschönberg.
- 1.
Lichtloch: Halde, Reste der Mauerung, Teichdamm für das Kunstgezeug-Wasserrad.
- 2.
Lichtloch: Nachdem das Haldenmaterial abgefahren ist, sieht man jetzt die Schacht-
Aufsattelung
(Mauerblock) freigelegt.
- 3.
Lichtloch: Kümmerliche Reste der Halde.
- 4.
Lichtloch (Bild 5): Halde, Schacht und Schachtgebäude, Kaue mit Mauerung für Kunstrad und Kehrrad, Verwaltungsgebäude
mit Inschrifttafel, Bergschmiede und Zimmerschuppen.
(Von einem Verein betreut).
- 5.
Lichtloch: Halde und Schachtmauerung, dazu Grabentour von Krummenhennersdorf
bis
Reinsberg.
- 6.
Lichtloch: Fundamente der Schachtgebäude.
7.
Lichtloch (Bild 6): Schacht und Schachtgebäude, Mauerung von Kunst- und
Kehrrad-
stube,
Mannschaftshaus, Pulverhaus. (Von einem Verein betreut).
- 8.
Lichtloch: Schachthaus von 1865 (der späteren Bauzeit wegen architektonisch vom
4.
und
7. Lichtloch abweichend), Kaue.
- Oberes
Neues Geschrei: Schachtgebäude, zwischen diesem und dem 8. Lichtloch, d.h. unter der Halsbrücker Hütte,
Durchschlagspunkt zwischen dem fiskalischen Stolln und
dem
Revierstolln (Bild 7).
Im eigentlichen Revier ist der Verlauf des
Haupttraktes des Rothschönberger Stollns ablesbar an den noch erhaltenen
Gebäuden und Halden der Schächte Reiche Zeche, Alte Elisabeth, Rote Grube,
Dreibrüderschacht, Beschert Glück, Constantin,Einigkeit und Frankenschacht.
Tabelle 1
Die wichtigsten Stolln im Freiberger Bergrevier (Mdl. Mundloch)
Bauzeit Name Höhe des Länge
des Lage u. Bemerkungen
Mundlochs
Haupt-
m.ü.NN traktes
km
vor 1384 Alter
Tiefer Fürstenstolln 314,9 10 Mdl.
bei Tuttendorf, bis
bis 19. Jh. 1877
wichtigster Frei-
berger
Stolln
vor 1526 Thelersberger
Stolln 391,7 6,7 Mdl.
bei Oberschöna,
bis 19. Jh. wichtigster
Stolln für Re-
vier
Brand-Erbisdorf
vor 1470 ? Rothenfurther
Stolln, 284 5 Mdl.
unterhalb Rothen-
1549 - 1568, später Anna-Stolln furth, wichtig für
Gruben
dann 19. Jh. bei Rothenfurth - Hals
brücke
1789 - 1849
Tiefer Hilfe Gottes Stolln, 245,1 6,6 Mdl.
bei Obergruna, für
mit Fortsetzung: Gruben
von Obergruna
Treue Sachsen Stolln bis
Großschirma
1844 - 1877
Rothschönberger Stolln 191,5 28,9 Mdl.
bei Rothschönberg
an
der Triebisch, für alle
Freiberger
Gruben (außer
denen
bei Roßwein -
Großvoigtsberg)
Tabelle 2
Herders Projektvarianten des Tiefen Meißener Erbstollns sowie Projekt
und Ausführung des
Rothschönberger Stollns
Herders
Stolln-Varianten Rothschönberger Stolln
(Nummerierung
gemäß Text)
(a:
über Munzig-Rothschön-
berg,
b: direkt)
1. 2. 3a 3b 4 Projekt Ausführung
Länge bis Halsbrücke
(km) 22,7 25,4 25 22,8 27 12,8 13,9 (einschl.Rösche)
Tiefe des Stolln unter dem
bis dahin tiefsten Stolln
(=gewonnene Fallhöhe)
(m) 193 220 190 190 186 128 94
- 152
Zahl der Lichtlöcher 11 ? ? ? ? 7 8
Bauzeit (Jahre) 47
47 47 47 47 22 33
Kosten (Millionen Thaler) 3,7 über über über über 1,3 2,44
(Mark in Thaler umge-
4 4 4 4
rechnet)
Tabelle 3
Die Tiefen der Lichtlöcher des Rothschönberger Stollns und die Tiefe des
Stollns
unter Gelände in einigen Hauptschächten des
Freiberger Reviers.
1) zur
Grube Himmelfahrt gehörend.
Lichtloch, Schacht Abteufzeit Tiefe
des Bemerkungen
Stollns unter
Gelände m
1. Lichtloch 1844/47 53 1845:
Wasserrad als Pumpenantrieb,
1857: 80 PS-Dampfmaschine für
Wasserhaltung u. Förderung
2. Lichtloch 1845/49 109 1847:
18 PS-Dampfmaschine für
Wasserhaltung, 1852: 3 PS-Dampf-
fördermaschine
3. Lichtloch 1845/49 129 1855:
Dampfmaschine
4. Lichtloch 1844/48 84 1846:
Wasserrad als Pumpenantrieb,
1848: Kehrrad als Fördermaschine,
1854: Turbine als Pumpenantrieb.
5. Lichtloch 1844/49 91 1847:
Kunstgezeug mit Schwam-
krug-Turbine in Betrieb,
1852: Turbinen-Fördermaschine.
6. Lichtloch 1845/51 155 1847:
18 PS-Dampfmaschine,
1864: 120 PS-Dampfmaschine.
7. Lichtloch 1844/49 123 1850:
Kehrrad als Fördermaschine,
1861: Wassersäulenmaschine.
8. Lichtloch 1865/73 139 bis
1877 in Betrieb, eiserner Hand-
haspel und Wassersäulenmaschine
museal auf der Alten Elisabeth er-
halten.
(Fortsetzung Tabelle 3)
Oberes Neues Geschrei 1) 1844- 157 bis
1877 tiefster Stolln: Anna-Stolln,
1850 64
m unter Gelände, 96 m über Roth-
schönberger Stolln.
Reiche Zeche 1) 1841 - 1847
231 1846/47
Bau eines Kehrrades;
bis 1877 tiefster Stolln: Alter Tiefer
Fürstenstolln, dieser 117 m unter Ge-
lände,
1969: Gesamttiefe 724 m
Alte Elisabeth 1) 1848 - 1843
ca. 230 Wiederaufnahme
1847 für Vortrieb
1847
- ... des Rothschönberger Stollns,
1848 Dampfmaschine
Rote Grube 1) 1848 - 1858
212,2 1852
Rad-Kunstgezeug, 1856 Kehr-
rad; Schachttiefe gesamt: 260 m
Dreibrüderschacht 18. Jh. - ... 270 Ab
1914: "Unterwerk" des Kavernen-
kraftwerkes.
Constantinschacht 1844 - ... ca. 270 Ab
1914: "Oberwerk" des Kavernen-
kraftswerkes.
Beschert Glück, 18. Jh. - ... ca. 270 Schachttiefe
1883: 410
Röschenschacht
Hörnigschacht der Grube 16. Jh. - ...
ca. 270 Schacht
1883: ca. 270
Einigkeit
Mendenschacht der um 1780 - 269 bis
1877 tiefster Stolln: Moritzstolln,
Mordgrube ... dieser 153 m unter Gelände, Schacht-
tiefe 1883: über 420 m
Frankenschacht der ab 1740 - 250 bis
1882 tiefster Stolln: Moritzstolln,
Grube Himmelsfürst ... dieser 136 m unter Gelände,
Schachttiefe 1969: über 600 m.
Reicher Bergsegen 1749 - ... ca. 275 Schachttiefe
1883: 300 m
Tabelle
4 Die Teilstrecken des Stollnvortriebs
im fiskalischen Teil des Rothschönberger
Stollns (vgl. dazu Bild 3)
1) Vortrieb
nach SO, 2) Vortrieb nach NW
Längen
Teilstrecke Vortriebszeit Vortrieb Vortrieb gesamt Durchschlagsdatum;
nach SW nach NO Bemerkungen
m m m
Triebisch- 1844
- 1864 ? ? 847 1858
Rösche
Hauptstolln- 1844 - 1864
1744 228 1972 2. Quartal 1864; ab 1851
mundloch - wegen Sandeinbruch
1. Lichtloch nach
NO wenig Vortrieb
1. -2. Lichtloch 1845 - 1868
992 738 1730 4. Quartal 1868; damit
Stolln bis Neukirchen
vollendet
2. - 3.
" 1849
- 1873 915 711 1626 26.5.1873; damit Stolln
bis Krummenhennersdorf
vollendet
3. - 4.
" 1848
- 1870 487 1230 1717 4. Quartal 1870;
4. - 5.
" 1848
- 1873 950 742 1692 4.4.1873;
5. - 6.
" 1849
- 1873 1349 322 1671 29.3.1873; 6. Lichtloch:
1864 stärkere Dampfma-
schine
6. - 7.
" 1865
- 1875 591 1162 1753 4.2.1875; 6. Lichtloch:
1864 stärkerere Dampf-
maschine
7. - 8.
" 1856
- 1876 ca. 5701) ca. 95 2) 665 8.8.1876;
8. Lichtloch - 1873 - 1877 ca.
4001) ca.
8002) ca.
1200 21.3.1877;
- Oberes Neues Geschrei
Tabelle
5 Große Revierstolln des
Erzbergbaus und drei Alpentunnel des 19. Jahr-
hunderts im Vergleich
Längen
Bauzeit Revier:
Stolln (Ort des Mund- bis zur er- Haupt- mit
allen Tiefe unter Ge-
lochs) sten Gru- trakt Verzwei- lände
be gungen
km km km m
vor 1384 Freiberg:
Reich-Zecher Stolln, 0,1 1,5 ? ca. 110
bis 19. Jh. später Alter Tiefer Fürstenstolln 1,5 10 30
100 - 150
(Tuttendorf)
1486/ Goslar:
Meißner Stolln, 2,3 2,3 - ca. 200
1585 später
Julius-Fortunatus-Stolln
(Goslar)
1503 bis Schneeberg/Erzgebirge:
ca. 2 7,7 43,6 ca. 50 - 160
20. Jh. Marx-Semler-Stolln
(Schlema)
1592 - Ilmenau/Thüringen:
ca. 4 6,7 - 105
1717 Martinrodaer
Stolln
1747 - Schemnitz
(Banská Stiavnica/ 0,5 6 34 ca. 350
1765 Slowakei):
Kaiser-Franz-I-
Stolln (Hodritsch)
1751 - Mansfeld:
Schlüsselstolln 6 26 31 ca. 150
1879 (Friedeburg)
1777 - Oberharz:
Tiefer Georg- 0,5 15,5 22,6 286
1799 Stolln
(Bad Grund)
1782 - Schemnitz
(Banská Stiavnica/ 4 17,8
? ca. 550
1878 Slowakei):
Josephi-secundi-
Stolln
(Voznica)
1789 - Pribram
(Tschech. Rep.): 1,6 14 21,9 101
1859 Kaiser-Joseph-Stolln
(Trhové
Dusniky)
1844 - Freiberg:
Rothschönberger 14 28,9 50,9
150 - 283
1877 Stolln
(Rothschönberg bei
Meißen)
1851 - Oberharz:
Ernst-August- 2,6 21 33
365
1864 Stolln
(Gittelde)
Alpentunnel
1857-1871
Mont Cenis - 12,2 -
1872-1882
Gotthard - 14,9 -
1880-1884
Arlberg - 10,2
-
Wagenbreth
Bildunterschriften
Bild 1 Schemaprofil
zu den Vorteilen und Nachteilen eines tieferen Stollns.
I
- III Schächte, die bereits von dem
tieferen Stolln S2 gelöst sind; IV u. V Schächte,
die
noch in den höheren Stolln S1 entwässern.
h1
und h2 die bis zu den Stolln S1 und S2 für den Betrieb von Wasserkraftmaschi-
nen
verfügbaren Fallhöhen; H1 und H2 Tiefen, aus denen Grundwasser bis auf die
Stolln
S1 und S2 gehoben werden muß.
l
Längendifferenz der Stolln.
Bild 2 Die
von Oberberghauptmann S.A.W.v. Herder vorgeschlagenen Varianten für einen
tieferen
Stolln ins Freiberger Revier.
1
Tiefer Meißner Erbstolln, 2 Stolln von Zehren, 3 (a und b) Stolln von Scharfen-
berg,
4 Verlängerung des Dresdener Elbstollns.
Bild 3 Der
Rothschönberger Stolln in einer Übersichtskarte.
R
Mundloch der Triebischtal-Rösche (mit Wasseraustritt), M Hauptstollnmundloch
(Wasser
wird unter der Triebisch hindurch in die Triebischtal-Rösche geführt),
1
- 8 Lichtlöcher 1 bis 8, G - G
Grabentour, HS Halsbrücker Spatgang, V Verstu-
fungspunkt.
(Grenze zwischen dem fiskalischen Stolln und den Stollnabschnitten
in
den einzelnen Grubenfeldern), starke ausgezogene Linie: fiskalischer Stolln,
star-
ke
gestrichelte Linie: Der Rothschönberger Stolln in den einzelnen Grubenfeldern
(stellenweise
vereinfacht gezeichnet).
Bild 4 Schematisches
Raumbild der Mundloch-Situation vom Rothschönberger Stolln.
S
(gestrichelt): Stolln, A Hauptstollnmundloch (heutiger Standort), B:
projektiertes Mundloch, R:
Rösche, punktiert = unter Talaue der Triebisch, gestrichelt = unter Höhenrücken, C: Röschenmundloch
mit Abfluß des Stollnwassers.
Bild 5 Schematisches
Raumbild der Bauwerke des 4. Lichtlochs in Reinsberg.
1
Verwaltungsgebäude für den gesamten Stollnbau, 2 Bergschmiede, 3 Zimmer-
schuppen,
4 Schachtgebäude, 5 Kaue (über den Radstuben für Kunstrad und Kehr-
rad),
6 unteres Mundloch der Reinsberger Rösche (Ankunft des Wassers aus der Grabentour, 7
Abzugsröschenmundloch am Dorfbach, 8 Zulauf des Wassers zu den
Rädern,
9 Abzugsrösche.
Bild 6 Schematisches
Raumbild der Bauwerke des 7. Lichtloch bei Halsbrücke.
1
Mannschaftshaus und Bergschmiede, 2 Schachtgebäude, 3 Kaue für Kunstrad und
Kehrrad
(nicht erhalten), 4 Pulverhaus. Die Halde ist jetzt von der Halde der Auf-
bereitungsabgänge
der Grube Beihilfe aus dem 20. Jahrhundert umgeben.
Bild 7 Karte
und Profil zur Durchschlagssituation des Rothschönberger Stolln im Bereich
Halsbrücke.
Weiterführende
Literatur
Emrich, ...: Das
Wassersäulenpumpwerk im 8. Lichtloch des Rothschönberger Stollns. -
Jb.f.d.Berg- u. Hüttenwesen in Sachsen, Freiberg, 108 (1934), S. 7 - 14.
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Leistner, J. u. Scheuermann, G.: Kavernenkraftwerk Drei-Brüder-Schacht. -
Freiberg, 1997 (2. Aufl. 2001).
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Goethe und Freiberg. - Freiberger Forsch.-Heft D 2, Berlin, 1953, S. 61 - 101
[mit Anhang: Herders Briefe an Goethe, S. 95, tiefer Stolln]
Heucke, F.:
Beiträge zur Freiberger Bergchronik. - Freiberg, 1920 (auch in Mitteil.
Freiberger Altertumsverein, Nr 47 ff)
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Rentzsch, W., Schubert, W-. u. Trachbrod, K.: Bergwerke im Freiberger Land (3.
Aufl.) - Freiberg, 2001.
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Untertage-Kraftwerk Freiberg, - Freiberger Forsch.-H. D 70, Leipzig, 1970, S.
63 - 70.
Müller, H.: Die
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Berg- Hüttenwesen in Sachsen, Freiberg, 1878, S. 3 - 27.[Nachdruck: Freiberg,
2002]
Nestler, J.: Die
Entstehung des Rothschönberger Stollns. - Freiberger Forsch.-H. D 70, Leipzig,
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Neubert, K.: Julius
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Weisbach-Gedenkschrift. Freiberger Forsch.-H. D 16, Berlin, 1956, S. 111 - 140.
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Historisches aus dem Rothschönberger Tännicht. - Triebischtal-Bote, (Amtsblatt
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Tittel, A.T.: Über
die Zäpfung der alten Baue auf dem Halsbrückner Spate seitens des fiscalischen
Berggebäudes Beihilfe Erbstolln. - Jb.f.d. Berg- u. Hüttenwesen in Sachsen,
Freiberg, 1876, S. 87 - 93.
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Rothschönberger Stolln und seine technischen Denkmale. - Sächs. Heimatblätter,
Dresden, 24 (1978), S. 255 - 264.
Wagenbreth, O.: Zur
Vollendung des Rothschönberger Stollns vor einhundert Jahren (1877). - Neue
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Wagenbreth, O.,
Wächtler, E. u.a.: Der Freiberger Bergbau, technische Denkmale und Geschichte.
- Leipzig, 1986 (2. Aufl 1988).
Weisbach, J.: Die
neue Markscheidekunst. - 2 Bände: Braunschweig, 1850; 1858.