Peter Wolf T 9

Augsburg

 

Friedrich von der Pfalz, die Eisenerzeugung in der Oberpfalz und die Böhmische Krone.
Thesen zu einer noch unbekannten Beziehung (Kurzfassung)

 

 

 

Die Bedeutung der Oberpfalz für die der Eisenerzeugung im Mittelalter und der frühen Neuzeit gehört zu den grundlegenden Erkenntnissen der mitteleuropäischen Wirtschaftsgeschichte. Nach SPRANDEL trug die Oberpfalz etwa 10 bis 15% zur europäischen Gesamtproduktion bei. Grundlage des Reichtums waren die Erzgruben insbesondere in Amberg und Sulzbach sowie schon im 14. Jahrhundert ein ausgedehntes und technisch innovatives Netz von Eisenhämmern, die das Erz zu Halbzeug (Stahl) in Form von Eisenschienen verarbeiteten. Das Eisen konnte dank der den Donauhandel beherrschenden Reichsstadt Regensburg sowie dank des sich rasch entwickelnden metallverarbeitenden Gewerbes Nürnbergs leicht und mit guten Gewinnen abgesetzt werden. Die an der Eisenerzeugung beteiligten Gruppen schlossen sich im 14. Jahrhundert zu sogenannten Hammereinungen zusammen, die Produktionsformen und Absatzmengen regelten. Besonders die berühmte "Große Hammereinung" von 1387 nahm grundlegenden Einfluss auf die weitere Entwicklung des Eisenerzbergbaus und der Eisenerzeugung in der Oberpfalz. Dabei sahen die letzten Jahre vor dem Dreißigjährigen Krieg bereits einen schleichenden Niedergang, den insbesondere GÖTSCHMANN skizzierte: Mangelnde Innovationen eben wegen der starren Regeln der Hammereinung, selbstsüchtige Wirtschaftsgesinnung des Amberger Rats und mangelnde Strukturpolitik der kurpfälzischen Regierung führten zu einem deutlichen Rückgang der Produktion.

Dieser Beitrag stellt nun die Frage, ob diese skizzierte Entwicklung im Zusammenhang mit ganz andersgearteten historischen Ereignissen standen, die um 1620 die damalige politische Welt erschütterten und die in ihren Folgen bis heute nachwirken. Gemeint sind die Ereignisse im Zusammenhang mit dem böhmischen Ständeaufstand von 1618, der Wahl Kurfürst Friedrichs V. von der Pfalz zum König von Böhmen (1619) sowie seiner Niederlage gegen die vereinten Truppen des Kaisers und der Katholischen Liga in der Schlacht am Weißen Berg (1620). Der als "Winterkönig" verspottete Friedrich musste aus Böhmen fliehen und verlor nach seiner Ächtung durch das Reich auch die Stammlande, nämlich die Untere und die Obere Pfalz. Die Tragweite dieser Ereignisse für Böhmen müssen nicht eigens herausgestellt werden. In der Oberpfalz gab es eine ganz ähnliche Entwicklung: Das Land wurde wieder zu einem Teil Altbayerns, Amberg verlor weitgehend seine Residenzfunktion, die nichtkatholischen Oberpfälzer mussten konvertieren oder auswandern.

Was haben aber nun der Erzbergbau in der Oberpfalz und die Geschichte des "Winterkönigs" miteinander zu tun, außer der Tatsache, dass Friedrich von August 1619 bis November 1620 zugleich Landesherr der Oberpfalz als auch Böhmens war? Beides wurde bisher noch nie zueinander in Beziehung gesetzt. Im folgenden wird die Hypothese aufgestellt, dass die Annahme der Wenzelskrone durch Friedrich mittelbar auch mit dem Oberpfälzer Eisen zusammenhängt. Die Situation des Erzbergbaus und der Eisenerzeugung in der Oberpfalz stellte sich zum Zeitpunkt des böhmischen Aufstands (1618/19) dar wie folgt:

  1. Im Verhältnis zur ersten Fassung der "Großen Hammereinung" von 1387 verstärkte sich schon im 15. Jahrhundert der Einfluss des Landesherren erheblich. Seit etwa 1530 nutzten die pfälzischen Landesherren diesen Einfluss zu einer gezielten Wirtschaftsförderung. Das geschah im Zusammenhang mit der Einrichtung der Amberger Zinnblechhandelsgesellschaft (dazu insbesondere: LASCHINGER): Böhmisches Zinn aus dem Gebiet von Schlaggenwald wurde von Amberger Handelsherren erworben und diente zum Verzinnen der in der Oberpfalz erzeugten Schwarzbleche. Der Rohstoff für diese Bleche war das Deucheleisen, das sich beim Erhitzen des Renneisens im Wellherde ansammelte. Bei der moderneren Eisenerzeugung im Holzkohlehochofen, die in der nun 150 Jahre alten Hammereinung nicht vorgesehen war, fiel kein Deucheleisen an. So beharrte man auf den veralteten Produktionsweisen und drückte zusätzlich noch den Preis der Bleche. Während den Blechschmieden und Eisenhämmern so allmählich die wirtschaftliche Grundlage entzogen wurde, profitierten die Anteilseigner und damit auch der Landesherr. Die Zinnblechhandelsgesellschaft brachte erhebliche Gewinne, gerade auch in den Jahren 1610 bis 1621/22. Wichtig war dabei, dass man weiterhin das böhmische Zinn erhielt und auch der Nachschub an billig erzeugten Eisenblechern gesichert blieb.
  2. Die Amberger Erzgewinnung erlebte in den Jahren nach 1609/11 einen erheblichen Einbruch. Durch rücksichtslose Ausbeutung der erschlossenen Erzlagerstätten und durch Buchungstricks war der Erzbergbau in Amberg zwar von Vorteil für einzelne Ratsherren und die Stadt, brachte aber nominell keinen Gewinn mehr, insbesondere für den Landesherren. Die Rohstoffbasis der Oberpfälzer Eisenindustrie war bedroht.
  3. Seit 1595 amtierte Christian von Anhalt als Statthalter der Pfälzer Kurfürsten in Amberg. Christian ist in der Politik- und Diplomatiegeschichte des 17. Jahrhunderts eine bekannte Figur. Er war es, der im Hintergrund immer wieder Verbindungen zu den böhmischen Ständen schuf; er war maßgeblich daran beteiligt, dass die böhmischen Stände Friedrich V. die böhmische Königskrone antrugen und gehörte auch zu denen, die den schwankenden Kurfürsten zur Annahme der Krone drängten. Weniger bekannt ist, dass Christian jenseits seiner Aufgaben als Statthalter auch persönlich intensiv an der Oberpfälzer Eisenproduktion beteiligt war. Bereits im Jahr 1602 hatte eine Gewerkschaft, an der hochrangige Persönlichkeiten der kurpfälzischen Regierung beteiligt war, ein Berg- und Hüttenwerk am Fichtelberg gegründet. Zwei Jahre später bestanden dort zwei Gruben, ein Stahlhammer und vor allem ein moderner Holzkohlehochofen. Das war die Besonderheit: Das Werk fiel nicht unter die Beschränkungen der Hammereinung und durfte die modernere und ergiebigere Technik anwenden. 1604 trat Statthalter Christian von Anhalt der Gewerkschaft bei, worauf eine geradezu stürmische Entwicklung einsetzte. Schon im Mai 1604 wurden weitreichende Privilegien erteilt, die weit über bisherige Oberpfälzer Eisenwerke hinausragten. Man plante im großen Stil – und setzte die Planungen um. Erzeugt wurde im Werk Gottesgab Roheisen, Schmiedeeisen und vor allem um 1615 viel Rüstungsmaterial: Harnischbleche, Kanonenkugeln und Mörser (Gußwaren). Christian von Anhalt konnte den jungen Kurfürsten dazu gewinnen, dass das Werk Gottesgab 1613 als Türkensteuer an den Kaiser 2.000 Zentner Kanonenkugeln lieferte. Im Folgejahr dürfte ein ähnliches Geschäft zustandegekommen sein. GÖTSCHMANN spricht daher von der Möglichkeit, dass Friedrich von der Pfalz bei der Schlacht am Weißen Berg von den eigenen, dem Kaiser verkauften Kanonenkugeln geschlagen wurde – eine bittere Ironie der Geschichte. Interessanterweise wurden Christians Anteile an dem Hüttenwerk Gottesgab auch nach seiner Ächtung 1621 nicht beschlagnahmt, wie eigentlich vorgesehen. Als sich Christian 1624 auf die Seite des Kaisers schlug, war diese Gefahr für ihn ohnehin gebannt.

Christian von Anhalt, Statthalter der Oberpfalz, war der wohl wichtigste politische Ratgeber des jungen Kurfürsten Friedrich V. und gehörte zu den profiliertesten Vertretern der calvinischen, protestantischen Partei im Reich. Man hat immer wieder darauf hingewiesen, dass Christian seinen Herren vor allem aus macht- und konfessionspolitischen Gründen zur böhmischen Königskrone drängte. Aber nach dem oben Gesagten gab es auch ganz handfeste wirtschaftliche Vorteile, die eine Kontrolle über Böhmen für Christian (als Privatperson und als Statthalter der Oberpfalz) bedeutet hätte:

  1. Die Zinngruben im Kaiserwald gehörten seit Mitte des 16. Jahrhunderts der böhmischen Krone; Schlaggenwald, Schönfeld und Lauterbach waren königliche Bergstädte. Die Kontrolle darüber hätte einen weiteren Aufschwung für die Amberger Zinnblechhandelsgesellschaft bedeutet und damit den Landesherren und den beteiligten Regierungsmitgliedern hohe Gewinne gesichert.
  2. Eine Übernahme der böhmischen Königskrone durch den calvinistischen Pfälzer würde ohne Zweifel militärische Konflikte nach sich ziehen – gute Voraussetzungen für den Absatz von Rüstungsgütern. Die hierfür erforderlichen Gußwaren konnten zwar nicht die veralteten Eisenhämmer der Oberpfalz, wohl aber das moderne, mit Holzkohlehochöfen ausgestattete Werk Gottesgab liefern. Und dies vermehrte den Reichtum des chronisch unterfinanzierten Christian von Anhalt.
  3. Die Amberger Erzproduktion war massiv gefährdet. In den Ländern der böhmischen Krone gebot die kurpfälzische Herrschaft über unermesslich mehr Rohstoffe als in der Oberpfalz. Und Christian von Anhalt hatte offensichtlich gelernt, auch in der Politik an Rohstoffgrundlagen zu denken.

All dies wären wichtige Argumente für ein Engagement des Landesherren der Oberpfalz gewesen, sich aktiv bei den böhmischen Angelegenheiten zu engagieren. Es soll keineswegs behauptet werden, dass hier der alleinige Grund für die Geschichte des "Winterkönigs" zu suchen sei: Viel zu wichtig waren Fragen der Konfession, der Stellung innerhalb des Reichs und vor allem auch der dynastischen Bedeutung innerhalb Europas. Aber es sei daran erinnert, dass die Entscheidung der böhmischen Stände für Friedrich und vor allem auch die Entscheidung Friedrichs selbst überaus lange offen blieb, dass der weitere Verlauf der Ereignisse im Jahr 1619 sozusagen auf Messers Schneide stand. Gerade deshalb ist es kein belangloses Gedankenspiel, sondern vielleicht von erheblicher historischer Relevanz, wenn man als These formuliert: Es spricht viel dafür, dass die aktuelle wirtschaftliche und technische Situation des Oberpfälzer Eisenerzbergbaus ihren Einfluss auf die Annahme der böhmische Königskrone durch Friedrich V. besaß. Als König von Böhmen war ihm allerdings nicht genügend Zeit vergönnt, um eine eigene politische (auch wirtschaftspolitische) Handschrift deutlich werden zu lassen. Daher ist die Überprüfung des genannten These schwierig, wird aber den Autor dieser Zeilen weiter beschäftigen.

Jedenfalls ist der hier entwickelte Gedanke reizvoll und wird auch seine Rolle spielen, wenn das Haus der Bayerischen Geschichte von Mai bis November 2003 in Amberg die Bayerische Landesausstellung zeigt. Sie beschäftigt sich eben mit dem "Winterkönig" Friedrich V. von der Pfalz, seinem dramatischen Leben und den Rahmenbedingungen dieses Lebens. Hierbei kann eine Vielzahl von bisher einer breiteren Öffentlichkeit unbekannten Beziehungen zwischen Bayern und Böhmen präsentiert werden. Zum Besuch dieser Ausstellung darf ich alle Teilnehmer am Symposion "Bergbauliches Pribram" herzlich einladen (Informationen beim Haus der Bayerischen Geschichte unter: http://www.hdbg.bayern.de oder unter http://www.winterkoenig.de).

 

Weiterführende Literatur (Auswahl):

Dirk Götschmann: Oberpfälzer Eisen. Bergbau- und Eisengewerbe im 16. und 17. Jahrhundert (= Schriftenreiche des Bergbau- und Industriemuseums Ostbayern in Theuern, Bd.5) Theuern, 1985

Die Oberpfalz – Ein Europäisches Eisenzentrum. 600 Jahre Grosse Hammereinung. Aufsatzband (= Schriftenreiche des Bergbau- und Industriemuseums Ostbayern in Theuern, Bd.12/1), Theuern 1987. Darin besonders die Beiträge von Sprandel und Götschmann

Johannes Laschinger: Die Amberger Zinnblechhandelsgesellschaft, in: Der seidige Glanz. Zinn in Ostbayern und Böhmen (= Schriftenreiche des Bergbau- und Industriemuseums Ostbayern in Theuern, Bd.42), Theuern 2001, S. 65-85